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Cäcilie Koßmann

Begutachtung von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (2009)

(gehalten für das Retreat Mai 2008)

Inhalt:
1. Allgemeines über die Situation in Berlin
2. Ablauf der Gutachtertätigkeit und mein Aufbau eines Gutachtens (gutachterliche Stellungnahme)
3. Allgemeine Kriterien für die Erstellung eines Gutachtens
4. Fehler bei der Erstellung von Gutachten

1. Allgemeines über die Situation in Berlin

In Berlin waren seit dem Beginn des Bosnienkrieges April 1992 bis zum Vertrag von Dayton am 15.12.1995 viele kriegstraumatisierte Flüchtlinge aus Bosnien angekommen, in den Spitzenzeiten waren es ca. 35.000. Aus Kosovo waren es bis 1999 ca. 15.000.

Es gab in Berlin in der Hauptsache 5 große Flüchtlingsberatungsstellen: BZFO (Behandlungszentrum für Folteropfer), DRK/ZFM (Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge beim Deutschen Roten Kreuz/Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste, Xenion, Heilig-Kreuz-Kirche/Asyl in der Kirche und Südost Europa Kultur e.V. Die Ausländerbehörde versuchte, so viele Flüchtlinge wie möglich abzuschieben. Die Rechtsanwälte, die die Flüchtlinge vertraten, hielten dagegen.

Psychologen und Ärzte versuchten, Traumatisierung von Flüchtlingen festzustellen. Zu Beginn ab 1992 gab es dafür noch keine allgemein verbindlichen Kriterien. Xenion und BZFO haben die "Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Menschenrechte" gegründet, in der viele engagierte Helfer zusammen arbeiteten: Rechtsanwälte, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter. Sie traf sich über die ganzen Jahre einmal im Monat abwechselnd bei Xenion und beim BZFO, um unter anderem sich gegenseitig zu informieren und zu unterstützen und um politische Aktionen abzusprechen (Treffen mit Innensenator Körting, mit Staatssekretär Freise und dem Ausländerbeauftragten Piening) und Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren etc.

Ablauf des Verfahrens bei einem Antrag auf Aufenthaltsbefugnis
Der Ablauf war im Allgemeinen folgender: Es wurde durch den Flüchtling, ein Antrag auf Aufenthalt gestellt, der sich in Duldung befand, d.h. in einer noch nicht durchgeführten Abschiebung. Er wurde meist durch einen Rechtsanwalt vertreten, bei Ablehnung wurde Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, bei Ablehnung der Klage ging der Fall an das Oberverwaltungsgericht. ("Kippvergleiche").
5 Kammern des VG (Verwaltungsgerichts) Berlin waren für die Flüchtlinge zuständig. Vor dem Jahre 2000 entschied bei den bosnischen Flüchtlingen der Familienname über die Abschiebung. Man wurde nach dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens bestimmten Kammern zugeteilt. Zwei Kammern des VG Berlin waren positiv eingestellt (11. Kammer, Richter Kunath und 35. Kammer, Percy McLean). Familiennamen mit S und C hatten damit gute Chancen, die anderen hatten keine Chance. Es gab für die Richter einen Ermessensspielraum, den die Ausländerbehörde oft negativ beendete, auch wenn der Richter positiv geurteilt hatte.
Als letztes Mittel der Hilfe vor Abschiebung konnte die Härtefallkommission angerufen werden, zusammengesetzt aus Vertretern der Kirche, der Behörden, Psychologen. Deren Votum hatte aber nur empfehlenden Charakter. Innensenator Körting hat sich oft über diese Empfehlung hinweg gesetzt.

Netzwerke, die für mich als Gutachterin wesentlich waren
1. die AGM (Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Menschenrechte) und damit die verlässliche Zusammenarbeit mit einschlägigen Rechtsanwälten und anderen Beratungsstellen, insbesondere die Heilig-Kreuz-Kirche mit Asyl in der Kirche.
2. Der Verein Südost Europa Kultur e.V., in dem ich mitgearbeitet habe, einem der wesentlichen Auffangbecken für bosnische Flüchtlinge mit rechtlicher, psychosozialer und psychotherapeutischer Beratung. Wir haben einen Psychotherapeutinnenkreis gebildet von zwischen 12 und 20 Therapeutinnen, die sich einmal im Monat trafen. Ohne die Netzwerke von südost und AGM wären wir alle verzweifelt und in Hilflosigkeit versunken. Denn ein Therapeut und Gutachter hat viele Aufgaben: Seelsorger, juristische Verlinkung, Zusammenarbeit mit einschlägigen Rechtsanwälten, Sozialberatung, Schutz gegen Abschiebung durch Verstecken der Flüchtlinge in Zufluchtswohnungen von Asyl in der Kirche und dadurch, dass wir so viele Flüchtlinge wie möglich in Therapie nahmen und für sie kontinuierlich in Abständen Atteste und Gutachten schrieben.

Ich habe an zwei Informationsreisen in einer Expertengruppe teilgenommen: nach Bosnien und Kosovo

Der Südost Europa Kultur e.V. hat zwei Informationsreisen für Fachleute organisiert, um uns die wesentlichen notwendigen Hintergrundkenntnisse darüber zu vermitteln, welche gesundheitliche (psychiatrische und medikamentöse) Versorgung abgeschobene Rückkehrer in den jeweiligen Herkunftsländern Bosnien/Kosovo erwartet: Im Jahre 2000 durch Bosnien (Psychiatrien, Ministerien, NGOs (Non-Government-Organizations = Nicht-Regierungsorganisationen), Gemeindeverwaltungen) mit 22 Teilnehmern und 2004 durch Serbien/Sandzak/Kosovo mit 8 Teilnehmern (50 Gesprächskontakte in 12 Tagen: Ministerien für Gesundheit in Belgrad und Pristina, Menschenrechtsorganisationen wie Helsinkikomitee, der Psychiater der deutschen Botschaft in Belgrad Dr. Dragovic, Zentren für Folteropfer, Gesundheitsgemeindezentren, lokale (Sandzak) Psychiatrien, NGOs, medizinisches Korps der UCK (die Ushtria Çlirimtare e Kosovës, dt.: Befreiungsarmee des Kosovo, war eine albanische paramilitärische Organisation, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte), UNMIK (United Nations Mission in Kosovo, Internationale Präsenz in Kosovo in Übereinstimmung mit der UN Security Resolution 1244, die die Verantwortung in Kosovo übernommen hatte) u.a. Diese Informationen waren für die Gutachten Grundlage für unsere Argumentation gegen die Abschiebung. Insgesamt herrschte vor November 2000 eine immense rechtliche Unsicherheit, die von den Behörden zu ihren Gunsten genutzt wurde.

Am 22./23.11.2000 wurde durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz eine neue Basis geschaffen, um Anträge auf Aufenthaltsbefugnis von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bosnien) zu entscheiden. Voraussetzung war, dass sie durch Bürgerkriegsereignisse traumatisiert worden waren, vor Dezember 1995 gekommen waren und sich seit 1.1.2000 in einer lang angelegten ärztlichen/psychotherapeutischen Behandlung befanden. Die Traumatisierung musste von Traumasachverständigen (Psychologen oder Ärzten) durch eine Begutachtung bestätigt werden. Die beiden Kammern (Ärzte- und Psychotherapeutenkammer) erstellten in Berlin Listen von Gutachtern, deren Urteil die Ausländerbehörde nicht mehr hätte anzweifeln dürfen, was sie aber gerne weiter tat, unter verschiedenen Vorwänden. Um auf diese Liste gesetzt zu werden, musste ein Antrag unter Nachweis der Qualifikation und speziellen Fortbildung gestellt werden, der von einem Gremium von speziellen Fachleuten beurteilt wurde (Oliver Schubbe gehörte einem solchen Fachgremium an). Bei der Psychotherapeutenkammer wurden zwei Listen erstellt, eine umfangreichere (ca. 42 Kollegen) für Begutachtung für die Ausländerbehörde, eine kleinere Liste (etwa 18) für Sachverständigengutachten bei den Verwaltungsgerichten.

Dieser Nachweis der Qualifikation auf den Listen war dringend nötig, denn Ausländerbehörden, Rechtsanwälte, Gerichte und die Gutachter selbst waren oft nicht ausreichend geschult. So war es vielen nur in Umrissen klar, was ein Trauma ist und wie es sich auf den Einzelnen, aber auch auf die nähere soziale Umgebung des Traumatisierten (Ehepartner, Kinder) auswirkt. Dadurch bestand die erhebliche Gefahr von Fehlbeurteilungen insbesondere bei den Behörden und den Gerichten, die zu verhängnisvollen Folgen führten, da Schwersttraumatisierte in ihrer Traumatisierung unerkannt in ihre Heimat abgeschoben wurden und dadurch einer Retraumatisierung ausgesetzt wurden. Daher wurden Standards für die Begutachtung entwickelt, die die speziellen Anforderungen an die Gutachter definierten.

Standards
1995 wurden Standards des BDP (Berufsverband Deutscher Psychologen) für allgemeine Anforderungen an Gutachten herausgegeben, 1979 von der BAFF (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.), 2000 entwickelte eine Projektgruppe im Rahmen des sogenannten "Aachener Appells" Standards zur Begutachtung psychisch traumatisierter Menschen "SBPM" (Projektgruppe, die "Standards zur Begutachtung psychotraumatisierter Menschen" entwickelte), geleitet von Dr. Gierlichs. Diese Standards sind in Fachkreisen weitgehend anerkannt. 2001 stellte das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) ebenfalls Standards auf. (Standards BDP im Anhang 1)

Anforderungen an eine gutachterliche Stellungnahme
Zu Beginn meiner Gutachterpraxis im Jahre 2000 bestanden noch geringere Anforderungen an die Stellungnahmen, so dass ich mit einem Arbeitsaufwand von etwa 6 Stunden pro Gutachten zu rechnen hatte. Die Qualitätsanforderungen wurden jedoch kontinuierlich durch die Einwände der Ausländerbehörde in einer Weise hoch geschraubt, dass eine gutachterliche Stellungnahme sich kaum noch von einem Sachverständigengutachten für das Verwaltungsgericht unterschied. Zum Ende meiner Gutachtertätigkeit (für Gericht und die Behörde) rechnete ich mit 18 - 22 Stunden, in Ausnahmefällen mit 25 Stunden, wie z.B. in dem Gutachten, dessen Aufbau ich hier vorlege (s.u.). Der Unterschied lag darin, wer der Auftraggeber war. War es das Gericht, dann zahlte das Gericht ("Sachverständigengutachten"), war es für die Ausländerbehörde ("gutachterliche psychologische Stellungnahme"), dann zahlte der Flüchtling von seiner Sozialhilfe, die bei geduldeten Flüchtlingen unter dem üblichen Sozialhilfesatz lag. Die Psychotherapeutenkammer hatte 250 Euro/gutachterliche Stellungnahme festgelegt, d.h. jedes Gutachten kam einem humanitären Akt gleich, denn oft konnten Flüchtlinge nicht oder nicht voll bezahlen. Die Stellungnahmen brauchten sie aber dringend.

Sachverständigengutachten wurden von Richtern an speziell zugelassene Traumaexperten ausgegeben, wenn die Richter kein sicheres eigenes Urteil abgeben konnten, ob jemand traumatisiert war. Das jeweilige Gutachten wurde dann als Grundlage für die Entscheidung in der nächsten Verhandlung des Verwaltungsgerichts genommen.
Da die Ausländerbehörde mit in der Verhandlung saß und zustimmen musste, wenn der Richter selbst die Diagnose PTBS akzeptierte, kam es dennoch vor, dass die Ausländerbehörde trotzdem ablehnte. Dann ging die Sache zum Oberverwaltungsgericht. Dem saß Richter Kipp vor, der die berüchtigten Kipp-Vergleiche verhängte: Entweder ihr geht freiwillig, nachdem die Kinder das Schuljahr beendigt haben oder ihr werdet sofort zwangsweise ausgewiesen. Wer nicht zustimmte, wurde meist frühmorgens gegen 5 Uhr von der Polizei abgeholt.

Bei der Ausländerbehörde oder später beim Bundesamt BAMF setzten sich oft einfache Sachbearbeiter (damals wie heute immer noch) mit unhaltbaren Argumenten gegen den Gutachter durch: "der Vortrag ist nicht nachvollziehbar (selbst bei größtem Detailreichtum); der Gutachter hat zu schnell dem Bericht des Flüchtlings geglaubt; er ist befangen; die Argumentation überzeugt nicht"; bei Gutachten für Flüchtlinge aus dem Kosovo 1993/94: "Er kann nicht kriegstraumatisiert sein, denn damals war noch kein Krieg"; gemeint waren von der Behörde lediglich die Natobombardierungen. "Was dem Flüchtling passiert ist, ist 25% der Bevölkerung passiert, also ist es kein Einzelschicksal sondern ein Gruppenschicksal und braucht daher nicht als Abschiebehindernis akzeptiert zu werden; die Gefahr der Retraumatisierung insbesondere der möglichen Suizidalität bei einer unfreiwilligen 'Rückführung' ist nicht konkret genug belegt, auf reine Wahrscheinlichkeitsangaben kann man sich dabei nicht berufen; es fehlt ein lang angelegter Therapieplan" (eine unsinnige Forderung bei einem Gutachten, der wird bei einem Antrag auf Psychotherapie gebraucht, nicht aber, wenn der Begutachtende die Flüchtlinge in 1-2 mehrstündigen Sitzungen untersucht, ob sie traumatisiert wurden und sie dann nie wieder sieht. Obwohl ein Therapieplan bei den Attesten der behandelnden Ärzte ausgewiesen wurde, werden die Atteste der Ärzte missachtet/als nicht konsistent bezeichnet usw.). Das bedeutete, man musste ein weiteres Gutachten schreiben. Jeder begutachtete Flüchtling benötigte mindestens 4, im Höchstfall 8-10 Stellungnahmen. Es war Ziel der Behörde, den Staat von Sozialhilfebelastungen zu entlasten, andererseits bestand ein Arbeitsverbot, so dass die Flüchtlinge auf Unterstützung durch den Staat angewiesen waren.

Bei Unklarheiten war die Ausländerbehörde gehalten, beim Gutachter nachzufragen, was sie aber nie tat. Daher musste man sehr genau mit den Rechtsanwälten zusammenarbeiten und in den schriftlichen Stellungnahmen jedes Wort genau bedenken und abwägen.

2. Ablauf der Gutachtertätigkeit und Aufbau eines Gutachtens (gutachterliche Stellungnahme)

Meine "Werkzeuge": An der Wand meines Praxisraums hängt eine große Karte von Ex-Jugoslawien. Detaillierte Karten von Sandzak, Kosovo (Karten der UNMIK; großer Maßstab), ein Atlas mit Stadtplan der wesentlichsten Städte des Kosovo und jeweilige Umgebung (UNMIK) sind vorhanden.
Zeitlicher Rahmen: mindestens 2 Sitzungen à 3-4 Stunden

Der Proband kommt, meistens pünktlich, oft im Familienclan, dann Trennung der Einzelnen: draußen warten lassen oder wieder nach Hause schicken (Ehemann bringt die Ehefrau, Unterstützung und/oder Kontrolle).

1. Sitzung
Vorgehensweise: Wenn keine Vorkenntnisse durch Akten des Rechtsanwaltes/Gerichtes vorhanden sind: Entbindung von der Schweigepflicht unterschreiben lassen, genaue Adresse und Telefonnummer (!) aufschreiben lassen, alle mitgebrachten Dokumente entgegennehmen, lesen, erstes Bild verschaffen. Erklären des Ablaufs und geplanten Aufbaus der Befragung (Vertrauen schaffen): Drei thematische Teile in zwei Sitzungen:

Beginn: Fragen an den Flüchtling nach dem aktuellen Befinden

Teil 1:

Teil 2:

2. Sitzung

(einige Tage später, damit der Flüchtling in der Zwischenzeit weiteres Gedächtnismaterial bei sich entdeckt und die durch die erste Sitzung entstandene Erregung und Angst wieder etwas in den Griff bekommt)
Der Gutachter hat sich alle notwendigen Unterlagen (u. a. Atteste von Ärzten) kopiert, bevor er sie zurückgibt, hat Telefonate mit den vertretenden Rechtsanwälten und behandelnden Ärzten geführt, hat sich eine Vorstellung von der Chronologie der Erlebnisse gebildet, dies aufgeschrieben und Fragen zu unklaren Punkten notiert.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung

3. Allgemeine Kriterien für die Erstellung eines Gutachtens

Form und Sprache des Gutachtens
Kriterien für das Gutachten: nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben (Haftungs-frage: bei wissentlicher Täuschung bis zu 1 Jahr Gefängnis möglich), verständlich in der Sprache, dem Verständnis des Auftraggebers angemessen (Richter, Behörde), wissenschaftliches Vokabular darf vorkommen, muss aber erklärt werden, Objektivität, Fachkompetenz, Neutralität, Unabhängigkeit, Glaubhaftigkeit

Notwendige Kenntnisse bei einem Gutachter
Das Land, der Krieg: Der Gutachter sollte möglichst kenntnisreich informiert sein über die Geschichte des Landes, über soziale und gesellschaftliche Hintergründe, detailreich informiert über Vorgänge während des Kriegsgeschehens, über die Entwicklungen der Kämpfe, über topographische Gegebenheiten, über besonders schwerwiegende Vorkommnisse: in Bosnien: für Frauen: Vergewaltigungslager Foca u.a (Prozess in Den Haag beschrieben von Medica Mondiale 2002 über sexuelle Versklavung von Frauen in privaten Wohnungen, auf Dachböden, in Fabriken, in Schulen), für Männer: Konzentrationslager u.a. in Omarska/Bosnien.

Literatur über Srebrenica (Prozessakten aus Den Haag, veröffentlicht von Caroline Fetscher, des Prozesses gegen General Kristic, den Verantwortlichen für den Genozid in Srebrenica), biographische Darstellungen bzw. Psychogramme der Verbrecher, die in Den Haag sitzen oder noch auf freiem Fuß sind, von Slavenka Drakulic: "Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht", zu Srebrenica: "Die letzten Tage von Srebrenica" von Davis Rohde (Pulitzerpreis 1996).

Psychische Symptomatik
Der Gutachter sollte fundierte Kenntnisse über die psychische Symptomatik besitzen.
Die 4 Symptomgruppen/Stressorkriterien:

  1. Panik, Hilflosigkeit, Entsetzen, eigene Todesbedrohung/Zeugenschaft von Todesbe-drohung/Tod
    a) ausgehend von Menschen mit der Folge einer speziellen sozialen Schädigung,
    b) ausgehend von Naturkatastrophen, Unfällen etc.
  2. Anhaltendes Wiedererleben: Tagträume, Albträume, Flashbacks (Kräfte zehrend, Betroffene können sich nicht mehr erholen, setzen sich über Stunden mit den Erlebnissen auseinander)
  3. Vermeidungsreaktion: Meidet Gedanken, Ort, Aktivitäten, Berichte, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. Dissoziation als unbewusste Überlebensstrategie: auf Gedächtnisinhalte nicht zugreifen können, Ausblenden von besonders belastenden Details oder Zusammenhängen: Unter Lebensgefahr funktioniert der Kopf völlig anders: verschiedene Details werden an verschiedenen Stellen im Gehirn abgelegt: Geräusch- oder Geruchsempfindlichkeit, Körperschmerzen nicht Erlebnissen zuordenbar etc.
  4. Anhaltende Erregung/Hyperarousel: Schreckhaftigkeit, Wachsamkeit, Aggressivität (Scham- und Schuldgefühle verändern Paarbeziehungen; ständige Übererregung stresst die Familie, Folge: aggressiv auffällige Kinder/gewalttätige Familienatmosphäre, Angst der Kinder, die sich nicht mehr auf die Eltern verlassen können)

Psychosomatik
Der Gutachter sollte die meist auftretende Psychosomatik bei PTBS kennen (u.a. Kopfschmerzen, Herz-, Atem-, Magen-, Essprobleme, Bluthochdruck, einem Verursachungserlebnis nicht auf den ersten Blick zuordenbare Schmerzen im Körper). Er sollte eventuelle Versuche erkennen können, psychische Störungen vorzutäuschen oder die Erlebnisse anderer als die eigenen auszugeben, oder Erlebnisse zu berichten, die nicht oder zumindest so nicht stattgefunden haben können.

Umstände der Flucht
Der Gutachter sollte Kenntnis von Fluchtwegen von vertriebenen Kriegsflüchtlingen haben, von Ausreisewegen, Kenntnisse von heimlichen Fluchtwegen durch Fluchthelfer (geschlossener Kastenwagen, unter Planen auf LKWs, in Bussen, die nur nachts auf Nebenwegen fuhren und tags unter Brücken oder auf Waldwegen versteckt abwarteten, Kenntnisse über Kosten für die Flucht, die die Familie aufzubringen hatte: Kühe oder Schmuck verkaufen, Kenntnisse, wo und wann in Bosnien der Krieg begann, wo die UNO angeblich garantierte Schutzzonen eingerichtet hatten, auf welche Weise die Vertreibung der moslemischen Bevölkerung ganzer Landstriche vor sich ging: erst tagelanger Beschuss durch Raketen und Bomben, die Bevölkerung sitzt zitternd in den Kellern, dann werden die Ortschaften gestürmt, die Einwohner entweder erschossen oder in bereitgestellte Busse oder LKWs getrieben mit nur einer Plastiktüte in der Hand, deren Inhalt beim Einsteigen kontrolliert wurde auf illegales Mitnehmen von Geld, Schmuck, Wertsachen und über die Grenze nach Serbien in Lager gebracht (an der gesamten Ostgrenze von Bosnien, von Bjeljina aus südwärts). Im südlichen Kosovo an der Grenze zu Albanien wurde die Bevölkerung ganzer Landstriche vertrieben, die Dörfer verbrannt, die fliehenden Einwohner von Panzern beschossen und von oben von Kampfhubschraubern (s. Petritsch: Kosovo-Kosova: Bericht von Human Rights Watch).
Fundierte Informationen und spezielle Landkarten zu den einzelnen Dörfern und Landstrichen können aus dem Internet gezogen werden, Berichte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des UNHCR (UN High Commissioner for Refugees; weltweit arbeitendes UN-Flüchtlingshochkommisariat) aus einschlägigen Darstellungen in Sachbüchern.

Sachbücher: Über Bosnien bis 1995 bei Svein Mönnesland: "Land ohne Wiederkehr. Ex-Jugoslawien: Die Wurzeln des Krieges." Mit detaillierter Zeitleiste im Anhang. Über Kosovo: Wolfgang Petritsch et al.: "Kosovo - Kosova. Mythen, Daten, Fakten" Hg. 30.9.1999, Ausführliche Darstellung der Kriegsvorgänge in Kosovo, oft Berichte von jedem Tag, Landkarten, Zeitungsartikel aus Spiegel/Zeit u.a. und Berichte von Human Rights Watch. Ausführliche Darstellung des diplomatischen Versuchs eines Vertrags mit Milosevic bis hin zum Scheitern des Vertrags von Rambouillet 24. März 1999, worauf die Natobombardierung begann. März 1999 - Juni 1999.

Wolfgang Petritsch war der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, in oberster Instanz zuständig für die Umsetzung des Vertrags von Dayton, von Oktober 1998 bis Juli 1999 Sonderbeauftragter der EU für das Kosovo, gemeinsam mit Christopher Hill, dem US-Vermittler im Kosovokonflikt mit Milosevic, dem Russen Boris Majorski, zum Chefunterhändler für den Vertrag von Rambouillet bestimmt und Botschafter Österreichs in der Bundesrepublik Jugoslawien. Doktor der Südosteuropäischen Geschichte der Universität Wien, danach Studium der Politologie und Internationale Beziehungen.

Notwendige spezielle Kenntnisse über Traumatisierung bei Flüchtlingen
Das Wissen über traumatische Verläufe und die Erfahrung mit traumatisierten Menschen ist inzwischen vielfach belegt. Wichtig ist dabei zu wissen, dass schwer Traumatisierte oft nicht über die traumatisierenden Erlebnisse sprechen können, dass sie keine klaren Erinnerungen haben, dass sie die Gefühle nicht mit Vorstellungen verbinden und dass sie auch nicht in zeitlicher Kontinuität denken.
Oft können Traumatisierte auf Gebieten, die ihr Trauma nicht berühren, angepasst und unauffällig erscheinen, bei anderen ist das gesamte Leben von einem panischen Zustand überflutet. Immer ist jedoch der Versuch zu beobachten, das Trauma abzuspalten und einzukapseln - eine Überlebenstechnik, mit deren Hilfe ein psychisches Überleben angestrebt wird. Dissoziation, Abspaltung, ist eines der wesentlichen Symptome bei Traumatisierung. Achtung! Eine Befragung, die bei der Erstellung eines Gutachtens notwendig ist, kann daher diese Abwehr einreißen und zu Retraumatisierung führen.

Gedächtnisleistung: Unterscheidung von
a) explizitem/deklaratorischem und
b) implizitem Gedächtnis.
a) bewusst erzählbare Erinnerungen. Zeitliche Kontinuität ist möglich.
b) Inhalte sind emotional, verhaltensbezogen, und sensorisch gespeichert. Sie bestehen losgelöst von einem räumlichen oder zeitlichen Bezug, sind nonverbal und nicht symbolisch gespeichert und können daher zunächst nur schwer willentlich abgerufen und verbal berichtet werden. Traumatische Erlebnisse sind oft nur im impliziten Gedächtnis gespeichert und sind daher nicht oder nur z. T. verbalisierbar.
Werden traumatische Erlebnisse im impliziten Gedächtnis gespeichert, kann eine räumliche und/oder zeitliche Dekontextualisierung bestehen, d. h., mit den Erlebnisse verbundene Daten und Orte sind nicht erinnerbar. (s. Medica mondiale S. 272)

Das bedeutet: Ein Traumatisierter ist meist nicht in der Lage, Zeitabläufe des traumatischen Erlebens in kontinuierlichem Verlauf wiederzugeben. Auch kann er oft Teile des Erlebten, meist die am schwersten erträglichen, die besonders angst- oder schambesetzten, zeitweilig nicht erinnern. An anderen Tagen "verschwinden" andere Teile aus dem Gedächtnis, während die ersten sich wieder hergestellt haben. Das Gehirn schaltet sozusagen bei Überlastung ab. Richter und Behörden, die nicht mit dieser Traumasymptomatik vertraut sind, sind daher oft zu dem Schluss des Lügens oder der Simulation gekommen. Aber wer lügt ist nicht traumatisiert und kann daher abgeschoben werden. So die oft gehörte Argumentation. Schwersttraumatisierte wurden so jahrelang abgeschoben und wurden retraumatisiert durch den Gewaltvorgang der Abschiebung sowie dadurch, dass sie erneut mit Triggern ihrer Traumatisierung in Verbindung kamen (z. B. die serbische Sprache bei Albanern, die Landschaft, die Orte der erlebten Gewalt, die serbische Polizei, die Nachbarn, die zu Tätern geworden waren). Ein Gutachter, wenn er das Leiden nicht entziffert, oder wenn er sich selbst schützt durch eigene Abspaltung des traumatischen Mitleidens, könnte durch seine Fehlbeurteilung ein Gehilfe der Abschiebung werden. (Zwei Beispiele aus meiner Praxis, im 3. Teil, wie man es nicht machen darf).

Traumatisierung führt meist dazu, dass die Sprache versagt. Nonverbale, also unwillkürliche Reaktionen und Verhaltensweisen müssen daher vom Gutachter beobachtet, eingeschätzt, in Verbindung mit der Traumageschichte gebracht und im Gutachten beschrieben werden:

Die Dissoziation zeigt sich in Unzuverlässigkeit der Erinnerung, (Widersprüche oder Zeitsprünge in der Darstellung), in einem diskontinuierlichen Sprachverlauf, Unterbrechung des Sprachduktus bei erhöhtem Erregungslevel, körperliche Spannungszustände (nicht ruhig auf dem Stuhl sitzen können, nur auf der vordersten Stuhlkante sitzen, die Fäuste ballen, das Zittern der Knie oder der Hände nicht in den Griff bekommen, Blickkontakt verlieren, leer vor sich hin schauen, blass oder rot werden, unwillkürliches Weinen, plötzlich auftretende Schmerzen). Oft sind motorische, unkontrollierbare körperliche Impulse (Bein nach vorne stoßen, mit dem Knie wackeln, Fäuste ballen) motorische Reaktionen auf erlebte Gewalterfahrungen, die in ihrer emotionalen Wucht nicht auf sprachlichem Wege kommuniziert werden können. Oft zeigen sich solche unwillkürlichen motorischen Abreaktionen parallel und abgespalten zur Sprechweise, die monoton, ohne emotionale Modulation in der Stimme, abgehackt, in unvollständigen Sätzen, ohne Blickkontakt zu halten, ablaufen.

Die Notwendigkeit der Behandlung und der Behandlungsplan müssen anhand der dargestellten Symptomatik und der psychischen Verfassung des Probanden im Gutachten dargestellt werden und nachvollziehbar sein. Bei einer PTBS ist immer zu bedenken, dass ein vorzeitiger Abbruch der Behandlung einer laufenden Therapie bei schwer Traumatisierten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung zur Folge hat. Ein Behandlungsplan sollte sich an den drei Phasen der Traumatherapie (Sicherheit/Stabilisierung, Traumakonfrontation bzw. -bearbeitung, Integration) orientieren, vgl. Judith L. Herman 1993. Es sollte auf anerkannte Therapierichtlinien wie z.B. die der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) Bezug genommen werden, vgl. die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie: www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/, siehe auch Flatten 2004). Eine erfolgreiche therapeutische Arbeit mit Traumaopfern ist unauflöslich verbunden mit dem Schutz vor Wiederholung der Gewalterfahrung. Dementsprechend ist ein Behandlungserfolg nur vor dem Hintergrund einer relativ sicheren psychosozialen Gesamtsituation zu erwarten, die einen sicheren Aufenthalt mit einschließt. Bei schwer Traumatisierten ist mit einer Behandlungsdauer von mehreren Jahren zu rechnen (2-2-2 Jahre: 2 Jahre Stabilisierung der Lebensumstände; Vertrauen gewinnen in sich und die Umwelt, 2 Jahre therapeutische Arbeit an der Traumatisierung und den verursachenden Ereignissen, 2 Jahre Reintegration in die Gesellschaft) (u.a. Judith L. Herman).

Therapeutische Möglichkeiten im Herkunftsland
Aussagen über Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland dürfen nur gemacht werden, wenn gleichzeitig auch überzeugend dargelegt wird, woher die Erkenntnis des Gutachters stammt. Die Aussagen müssen einer kritischen Überprüfung standhalten. Auch wenn laut Auswärtigem Amt Therapiemöglichkeiten vorhanden sind, sind Aspekte wie Erreichbarkeit, Bezahlbarkeit, sowie fachliche (und ethnische: muslimische, vergewaltigte Frauen können nicht von serbischen männlichen Ärzten behandelt werden; muslimische Flüchtlinge fühlen sich in der Behandlung von serbischen Ärzten nicht sicher: Überlegung stets, könnte dieser Arzt ein Täter gewesen sein?) Qualifikation der Therapeuten/Ärzten oder das Nicht-Vorhandensein kultureller Hemmnisse fraglich. Die Gefahr der Retraumatisierung ist massiv vorhanden.

Gefahr der Retraumatisierung
Bei einer Retraumatisierung werden die dramatischen Erlebnisse erneut durchlebt, seelisch nicht verarbeitete Erlebnisse werden wieder aufgefrischt, die belastende Traumasymptomatik tritt erneut und eventuell verstärkt auf. Dies kann bei einer Begutachtung geschehen aber auch durch die Konfrontation mit Orten des einstigen Grauens oder durch Begegnung mit ungestraft gebliebenen einstigen Peinigern. Wunden werden wieder aufgerissen, der Prozess der Heilung wird abrupt abgebrochen. Ungeachtet der Therapiemöglichkeiten im Zielstaat ist die Gefahr einer Retraumatisierung zu beachten. Es geht nicht nur um Fortsetzung des Heilungsprozesses sondern unter anderem auch um den Schutz vor neuen seelischen Verletzungen.

Suizidalität
Bei einer Retraumatisierung ist die Frage nach der Suizidalität zu prüfen. Der Unterschied zwischen "realer" und "appellativer" Suizidandrohung sollte durch Überprüfung der Konkretheit der Suizidgedanken und vor dem Hintergrund der Gesamtpersönlichkeit, der Lebenssituation und des Krankheitsbildes des Betroffenen deutlich gemacht werden. Die Suizidalität eines Betroffenen muss aus der Situation und dem Störungsbild erklärbar sein, sonst wird sie nicht als relevant für das aufenthaltsrechtliche Verfahren betrachtet.

Dolmetscher
Der Dolmetscher spielt eine große Rolle. Keineswegs darf ein Familienmitglied dolmetschen (Schweigepflicht, Geheimnisse, die nicht für die Familie ans Licht kommen dürfen, Überlastung des dolmetschenden Familienmitgliedes - mein Fehler zu Beginn, Familienmitglieder dolmetschen zu lassen). Der Dolmetscher sollte Muttersprachler und erfahren sein. Er kann aus seinem Wissen als Kulturvermittler dienen, kennt Gesetzmäßigkeiten, über die man nicht stolpern darf, kann Missverständnissen vorbeugen, er sorgt im Wesentlichen mit für eine Atmosphäre von Vertrauen und Offenheit während der Untersuchung. Während der Dolmetscher übersetzt, hat der Gutachter Gelegenheit für die Beobachtung nonverbaler Botschaften des Flüchtlings (auf der Verhaltensebene). Er hat Zeit, das weitere Vorgehen und die nächsten Fragen zu überdenken. Der Dolmetscher verlangsamt den Bericht auf diese Weise.

Verhalten des Gutachters
Der Gutachter muss sich empathisch, aufmerksam, sachlich korrekt und respektvoll verhalten. Er muss eine offene Haltung haben: Sokratisches Prinzip bezüglich der Erlebnisse: "Ich weiß, dass ich nichts weiß": Nicht aus dem eigenen Kulturkontext heraus schnelle eigene Schlüsse ziehen, sondern die Bedeutung erfragen, die etwas für den anderen hat. Dies ist ein zentraler Schlüssel, um fremde Kulturen zu erschließen. Oft weiß man nicht, wie der andere aus seinem Kulturkontext heraus ein Erlebnis empfindet oder auch eine Frage des Gutachters aufnimmt. Das subjektive Erleben und die Deutung des Flüchtlings muss akzeptiert werden. Nicht die eigene Wahrheit in die Worte des anderen hineinlegen. Oft ist die Reaktion beim Gutachter auf Nicht-Verstehen/Nicht-Ertragen eine Abwehr: "bad or mad". Schlecht oder verrückt. Ein Trauma hat seine "Geschichte". Verrückt bedeutet: es hat keinen Bezug. Der Bezug ist verloren gegangen. Also die Abwehr in sich selbst überdenken, wenn etwas unglaubhaft erscheint (sich z.B. fragen: ist das wahnhaft, was berichtet wird oder ist es aus der anderen Kultur heraus zu verstehen: Kosovo: Magieverständnis, mit dem die Leute im Alltag leben). Auch der Gutachter hat unter Umständen eine begrenzte Aufnahmefähigkeit, sich mit den Grausamkeiten und Schattenseiten auseinanderzusetzen. (Supervision!)

4. Fehler bei der Erstellung von Gutachten

5. Anhänge

Anhang 1

Richtlinien des BDP für die Erstellung eines Gutachtens/einer gutachterlichen Stellungnahme (zitiert nach Astrid von Törne: Begutachtung von Flüchtlingsfrauen im aufenthaltsrechtlichen Verfahren. S. 258)

Anhang 2

Ein (psychologisches) Gutachten soll folgende Angaben enthalten (in Anlehnung an den BDP/Berufsverband deutscher Psychologen)

Häufige Fragestellungen des Gerichts/der Ausländerbehörde/des BAMF

Anhang 3

Gutachtenaufbau einer gutachterlichen Stellungnahme

Cäcilie Koßmann, Dipl.-Psych.
Psychologische Psychotherapeutin
Zertifizierte Traumapsychotherapeutin
"Listentherapeutin" der Psychotherapeutenkammer Berlin
Fischerhüttenstraße 80
14163 Berlin
Tel.: 801 40 09

Psychologische gutachterliche Stellungnahme zur Vorlage bei der Ausländerbehörde

Betr. XXX, X , *XXX, wohnhaft: XXXXXXXXX Berlin
Religionszugehörigkeit: Moslem
Verheiratet, 5 Kinder

Datum der Untersuchung: (Datum) (3,5 Stunden) und (Datum) (3 Stunden), insgesamt 6.5 Stunden

Eine Entbindung von der Schweigepflicht liegt mir vor.
Als muttersprachliche Sprachmittlerin diente Feride Barbatovci.

Herr XXX hat mich gebeten, ihn mit dem Ziel zu untersuchen, seinen psychischen Zustand zu erheben, eine mögliche Traumatisierung festzustellen, und die Erlebnisse zu erheben, die zur Traumatisierung geführt haben könnten.

Zu diesem Zweck erschien er zu zwei Terminen in meiner Psychotherapeutischen Praxis. Ein Telefongespräch mit der Tochter XXX am (Datum) bestätigte Details der Fluchtgeschichte.

Ich werde diese Untersuchung ausschließlich auf der Grundlage meiner eigenen psychologischen Befunderhebung durchführen und abschließend auswerten.

Es liegen mir zwei Gutachten vor, für das VG Berlin von Herrn Dr. L. vom (Datum) und für das OVG Berlin von Frau Prof. Dr. H. vom (Datum). Meine Arbeit sehe ich erst in zweiter Linie darin, diese beiden Gutachten und ihre Schlußfolgerungen aufgrund meiner eigenen Erhebungen einzuschätzen.

Ich habe aufgrund der Lektüre dieser beiden Gutachten in meinen Erhebungen spezielle Schwerpunkte gelegt: auf die genaue Erhebung der Traumasymptomatik, auf die Durchführung eines gut validierten Traumatests, auf die möglichst präzise Darstellung der Trauma- und Fluchtgeschichte sowie auf die Beschreibung des Verhaltens von Herrn XXX in der Untersuchungssituation.

Mir vorliegende Atteste von Ärzten werde ich aufführen und Hinweise auf die Gleichheit von Diagnosen geben.

Aufbau der Stellungnahme

  1. Fremdanamnestische Daten zu Herrn XXX
  2. Die Untersuchung von Herr XXX: Krankheissymptomatik
  3. Verhalten in den beiden Sitzungen der Untersuchung
  4. Exkurs über die Veränderung der Reizleitung im Gehirn bei Traumatisierten
  5. Exkurs über Traum-Inhalte bei Traumatisierten
  6. Der Traumatest PDS (Posttraumatic Diagnostic Scale) und seine Auswertung
  7. Zusammenfassung der Testergebnisse
  8. Die Lebensgeschichte sowie die Erlebnisse, die zur Traumatisierung führten
  9. Zusammenfassung der Ergebnisse des Tests, der Ergebnisse aus der psychodiagnostischen Erhebung und der Ergebnisse aus der Befragung zur Verursachung der Traumatisierung
  10. Diagnose
  11. Einschätzung der beiden anderen Gutachten
  12. Die Reisefähigkeit
  13. Die Orientierungsreisen
  14. Die Auswirkung einer Abschiebung
  15. Zur Frage der Abschiebung in den Kosovo
  16. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung und Empfehlung
  17. Differentialdiagnose
  18. Glaubwürdigkeit
  19. Integration der Familie XXX
  20. Zusammenfassung und Empfehlung

Literatur

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